„Die Menschen sollen leuchten“
Eine Frau voller Eloquenz und Lebenslust, gesegnet mit jeder Menge Kreativität und Fantasie, immer umtriebig, stets voller Ideen, den Menschen zugewandt und eine immense positive Energie ausstrahlend. So lässt sich Gudrun Schretzmeier beschreiben. Zusammen mit ihrem Mann hat sie als Mitbegründerin des Theaterhauses Stuttgarter Kulturgeschichte geschrieben, deren Strahlkraft jedoch weit über die Stadt- und Landesgrenzen hinaus zu bewundern ist. Sie war während der letzten Jahrzehnte ohne jeden Zweifel eine der in Stuttgart und bundesweit prägenden Persönlichkeiten der Kunst- und Kulturszene.
Geboren wurde sie am 29. Mai 1941 in Stuttgart. Nach der Schneiderlehre absolvierte sie die Ausbildung an der Staatlichen Modeschule Stuttgart, machte erste Arbeitserfahrungen als Assistentin bei den Bayreuther Festspielen (Meistersinger von Nürnberg, Tannhäuser, Ring der Nibelungen) und weitere beim Haut-Couture-Haus Jacques Esterel in Paris. Von 1963 an arbeitete sie als Assistentin der Geschäftsleitung bei der Theaterkunst in München, wo sie auch ihre ersten eigenen Kostüme für Kino- und TV-Film- und Theaterproduktionen realisierte. Ab 1967 leitete sie die Kostümabteilung beim Süddeutschen Rundfunk (SDR) in Stuttgart, wo sie auch ihren späteren Mann Werner Schretzmeier kennenlernte, mit dem sie seit 1970 verheiratet war.
1973 wagte sie den Absprung in die Selbstständigkeit und arbeitete fortan als freischaffende Kostümbildnerin für über 160 Theater-, Opern,- Tanz, Film- und TV-Produktionen, ab den 1990er Jahren auch als Bühnenbildnerin. Darunter die Kinofilme wie Kehraus (1983), Der rote Baron (2006), Schwestern (2011), Bis wir tot sind oder frei – Stürm (2019) sowie die TV-Filme Die ungeliebte Frau (1972), Die Kameliendame (1977), Der Schrei der Eule (1986), Der Aufstand (2002), Tatort – Hart an der Grenze (2007) und Unverschämtes Glück (2015). Am Theater war sie unter anderem für die Kostüme von Georg Taboris Clowns (1972) verantwortlich und hat die Theaterproduktion Dreigroschenoper (1990) in der Inszenierung von Peter Kleinert und Peter Schroth ausgestattet. Diese Theaterhausproduktion war die erste deutsch-deutsche Theaterproduktion nach dem Mauerfall.
Nach der Gründung des Stuttgarter Theaterhauses im Jahr 1984, zusammen mit ihrem Mann Werner Schretzmeier und Peter Grohmann, zeigte sich Gudrun Schretzmeier auch für die Ausstattung zahlreicher Theaterhaus Schauspiel- und Tanzproduktionen verantwortlich. Darunter die legendären Bühnenstücke wie Dirty Dishes (1995), Elling (2003), Ab heute heißt Du Sara (2005) und Gott des Gemetzels (2012), 7 Minuten (2018), Me and Mr Cash (2020) oder zuletzt 71023 (2025).
Auch ihre Arbeit für den Tanz sorgte immer wieder für Aufsehen. Neben Lucky Seven - Carlito (2011), King Lear (2020), Swan Lakes (2021), Seven Sins (2021) wurde sie zuletzt für die Gauthier-Dance-Produktion FireWorks (2024) von den Kritiker:innen von tanz-international ausgezeichnet. So heißt es im Jahrbuch tanz 2025:
„Gauthier Dance, am Stuttgarter Theaterhaus ansässig, hat mit Shori Yamamoto, Bruna Andrade, Gudrun Schretzmeiers Kostümen für die Fireworks und als Compagnie beeindruckt“. Und die Stuttgarter Zeitung schrieb: „Gudrun Schretzmeier zeigt Gauthier Dance//Dance Company Theaterhaus Stuttgart in Fireworks mit zehn verschiedenen Outfits auch als optisch wandelbare Truppe.“
Und die internationale Zeitschrift Seeing Dance meinte zur Premiere von Turning of Bones im Rahmen des COLOURS International Dance Festivals im Sommer 2025: „In Gudrun Schretzmeiers wunderschön dezenten, grün-blauen, indianisch inspirierten Kostümen fegt das Ensemble über die Bühne hin und her“.
Zudem waren viele ihrer Arbeiten preisgekrönt. So gewann sie 2000 den Deutschen Film- und Fernsehpreis für die TV-Produktion Vom Küssen und vom Fliegen und wurde 2011 mit dem baden-württembergischen Ehrenfilmpreis für ihre Karriere ausgezeichnet. 2015 bekam sie die Staufer Medaille des Landes in Gold überreicht. Außerdem war sie Gastdozentin an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste sowie zwischen 2015 und 2019 Mitglied im Vorstand der Deutschen Filmakademie.
Zuhause war sie aber immer in der Ausstattung. Ihr dortiges Team im Theaterhaus bestand denn eher aus Freundinnen und Freunden, denn aus Kolleginnen und Kollegen. Ihre Arbeit verrichtete Gudrun Schretzmeier meist im Hintergrund, suchte weder die Große Bühne noch den knalligen Auftritt – und doch war ihre großartige Arbeit stets präsent und für alle gut sichtbar.
Aktuell ist von ihr zu sehen: Die Oper La Fest an der Stuttgarter Staatsoper. Im Theaterhaus die Gauthier Dance//Dance Company Theaterhaus Stuttgart Produktionen Turning of Bones und Fireworks, sowie die Produktion DreamTeam der Gauthier Dance JUNIORS. Auch aktuelle Theaterhausschauspielproduktionen mit Kostümen und Bühnenbildern von Gudrun Schretzmeier sind aktuell im Programm, darunter Geheimplan gegen Deutschland, And now Hanau, Die deutsche Ayse oder Du bist meine Mutter.
Immer und überall stand für sie der Mensch im Mittelpunkt, sei es auf der Bühne oder dahinter, im Publikum oder auch, wenn es darum ging, für eine demokratische Welt und Gesellschaft zu streiten. „Die Menschen sollen leuchten, nicht das Haus“, hat sie einmal gesagt.
Nun ist Gudrun Schretzmeier in der Nacht zum Sonntag im Alter von 84 Jahren verstorben. Die Kulturlandschaft verliert mit ihr eine bereichernde Persönlichkeit. Das Theaterhaus und seine ganze Belegschaft ist in tiefer Trauer über diesen Verlust. Ihre offene Art, ihr strahlendes Lachen und ihr immer wieder aufblitzendes verschmitztes Lächeln werden fehlen.
Werner Schretzmeier betonte: "Es wäre ihr wichtig, dass wir nicht in Trauer vergehen. In diesem Sinne würde sie sich wünschen, dass wir alle trotzdem weiter positiv und aktiv die Zukunft gestalten und die Menschen im Theaterhaus weiter strahlen lassen, Monat für Monat, Jahr für Jahr."
Eine Gedenkfeier für Gudrun Schretzmeier wird voraussichtlich am Sonntag, 2. November 2025 im Theaterhaus stattfinden.